1918 veröffentlichte Oswald Spengler „Untergang des Abendlandes“, das als literarische Sensation galt. Das Ende des Kaiserreichs und die Kriegsniederlage schienen viele Deutsche in Spenglers kulturgeschichtlicher Apokalyptik zu bestätigen. Die zeitgenössische Wirkung Spenglers war enorm und ist bis heute wenig erforscht. Barbara Beßlich rekonstruiert in ihrer Monographie die Rezeption Spenglers durch Thomas Mann. Anhand bisher unveröffentlichter Quellen aus dem Thomas Mann-Archiv in Zürich zeigt sie, wie Mann Spengler verstand, mit wem er in München 1919/20 über den „Untergang des Abendlandes“ diskutierte und wie Spengler in Manns Werk Eingang fand. Manns Haltung zur Konservativen Revolution wird stark durch seine Spengler-Rezeption geprägt. Nach 1922 wendet sich Mann von Spengler ab und der Weimarer Republik zu, was sich in seinen Essays der 1920er Jahre widerspiegelt. Aus einem begeisterten Leser wird ein kritischer Gegner Spenglers. Dennoch bleibt die Faszination für den Verfall, die von Spenglers Werk ausgeht, für Mann ein lebenslanges Thema. Neben Manns Essayistik steht besonders der Roman „Der Zauberberg“ im Fokus. Eine intertextuelle Analyse zeigt, wie dieser auf Spenglers Untergangsdiagnose reagiert. Spengler-Reminiszenzen in Manns „Doktor Faustus“ schließen Beßlichs kulturwissenschaftliche Studie ab.
Barbara Beßlich Livres






Das Junge Wien im Alter
Spätwerke (neben) der Moderne (1905–1938)
Die Dichter des Jungen Wien leisteten auch nach 1905 ihren Beitrag zur Literatur der Moderne - ein Umstand, der bisher von der Forschung weitgehend unberucksichtigt geblieben ist. Die vorliegende Studie mochte dem abhelfen und untersucht das fiktionale und weltanschauungsliterarische Spatwerk der alter gewordenen Jungwiener und beachtet dabei sowohl die kanonisierten Schriftsteller (Hofmannsthal und Schnitzler) als auch deren weniger bekannte Kollegen.
Der Biograph des Komponisten
Unzuverlässiges Erzählen in Thomas Manns Roman ‚Doktor Faustus‘ (1947)
Thomas Manns Roman ‚Doktor Faustus‘ schildert ‚Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde‘. Dieser Freund ist der Latein- und Geschichtslehrer Serenus Zeitblom, der sich in vielerlei Hinsicht als ein unzuverlässiger Erzähler entpuppt. Vorliegende narratologische Studie untersucht die unterschiedlichen Facetten dieses unzuverlässigen Erzählens, beleuchtet Zeitbloms politische Haltung und problematisiert den Realitätsstatus des Teuflischen in der erzählten Welt. Es wird diskutiert, ob Zeitblom eine Biographie oder einen Roman über Leverkühn schreibt, und gefragt, in welchem Verhältnis die literarische Leitmotivik zum unzuverlässigen Erzählen steht. Dabei interessiert sich die Studie dafür, was Zeitblom missversteht und was er bewusst verfälschend darstellt. Um was für einen Text es sich bei dem von Leverkühn verfassten Teufelsgespräch eigentlich handelt, wird ebenso analysiert wie die Verfahren, mit denen Zeitblom Leverkühns Musik erzählend politisiert.
Nietzsches Nachlass
Probleme und Perspektiven der Edition und Kommentierung
Im Mittelpunkt des Bandes steht mit Nietzsches Nachlass derjenige Teil seines Schaffens, von dem seit jeher eine besondere Faszination ausging. Sein Status ist bis heute höchst umstritten. Handelt es sich bei den nachgelassenen Aufzeichnungen um Skizzen und Vorstufen, um Bausteine für neue Werke oder gar – wie etwa Martin Heidegger meinte – um das ‚eigentliche‘ Werk Nietzsches? Außer Frage steht, dass der Nachlass besondere editorische und interpretatorische Schwierigkeiten aufwirft. Zugleich herrscht aber weitgehender Konsens darüber, dass er für das Verständnis von Nietzsches Denken und Schreiben unverzichtbar ist, denn viele seiner zentralen Gedanken sind im Nachlass anders, mitunter scheinbar deutlicher, bisweilen überhaupt nur hier formuliert. Die Beiträge gehen diesen Spannungsverhältnissen nach, indem sie sowohl am Beispiel konkreter Einzelfälle als auch grundsätzlich den angemessenen Umgang mit Nietzsches nachgelassenen Schriften diskutieren.
Viele Autoren der Wiener Moderne haben sich in unterschiedlichen Phasen ihres Schaffens kulturkritisch geäußert, sowohl in Essays und weltanschauungsliterarischen Monographien als auch in fiktionalen Texten. Die Kulturkritik des „Jungen Wien“ wird in vorliegendem Band vor allem in Auseinandersetzung mit zentralen historischen Zäsuren (1914/1918, 1933/1934, 1938) analysiert und als Krisenreaktion, „politische Gefahr“ (Fritz Stern) und ästhetisches Potential perspektiviert. Das kulturkritische Spätwerk der Jungwiener (Peter Altenberg, Leopold von Andrian, Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann, Felix Dörmann, Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten, Richard Schaukal und Arthur Schnitzler) hadert mit dem Untergang der Monarchie, mit sozialen Verschiebungen in der Gesellschaft und der neuen geopolitischen Kartierung Europas nach dem Ersten Weltkrieg. Abseits der Avantgarde imaginieren diese Texte Gegenordnungen, die Themen und Schreibweisen der 1890er Jahre aufgreifen, aber auch transformieren.
Geschichte(n) fiktional und faktual
Literarische und diskursive Erinnerungen im 20. und 21. Jahrhundert
- 413pages
- 15 heures de lecture
Die Beiträge des Bandes gehen auf eine Tagung in Budapest zurück, die im September 2014 stattgefunden hat. Gemeinsames, erkenntnisleitendes Thema ist die Frage nach «Sprachlichen Konstruktionen von Geschichte zwischen Faktualität und Fiktionalität» mit besonderem Blick auf Umbruchs- und Krisenzeiten. Die literaturwissenschaftlichen Beiträge analysieren und interpretieren Texte vom frühen 20. Jahrhundert bis zum 21. Jahrhundert, in denen künstlerische, politische, ideologische und gesellschaftliche Krisenzeiten thematisiert werden. In den linguistischen Beiträgen geht es um gemeinsame Geschichte und ihre Konstruktion im Spiegel von Diskursen. Korpuslinguistische und diskursanalytische Ansätze stehen im Vordergrund. Von besonderer Bedeutung ist in zahlreichen Beiträgen das sogenannte Budapester Korpus. Dabei handelt es sich um ein deutsch-ungarisches thematisches Textkorpus, das im Rahmen einer vom DAAD-geförderten Partnerschaft zwischen Budapest und Heidelberg entstand. Es zeigt die verschiedenen Perspektiven, die in beiden Länder zueinander und zu ihrer gemeinsamen Geschichte sprachlich konstruiert werden. An diesem Korpus werden diskursanalytische und grammatische Fragestellungen im Sprachvergleich untersucht.
"Schöpferische Restauration"
- 415pages
- 15 heures de lecture
Der vorliegende Sammelband nimmt das in den 1920er Jahren von Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Borchardt geprägte Schlagwort von der ›Schöpferischen Restauration‹ auf. Er löst es aber aus seiner politischen Fokussierung, um es in einem erweiterten Sinne als Sammelbezeichnung für literarisch-ästhetische Traditionsbezüge in der Klassischen Moderne zu erproben und zu untersuchen, wie Autoren dieser Zeit kreativ, intertextuell und intermedial auf ältere ästhetische Phänomene antworten. Der Band erkundet damit die für die Klassische Moderne symptomatischen Spannungen zwischen Tradition und Innovation, zwischen historistischer Musealisierung und avantgardistischem Traditionsbruch. Er setzt mit Beobachtungen zu Friedrich Nietzsche als einem der ›Väter der Moderne‹ ein und findet ein erstes Zentrum bei Hugo von Hofmannsthal. In weitgehend chronologischer Sequenz werden sodann Schwerpunkte auf Thomas Mann und im literarischen Expressionismus gesetzt, bevor sich der Bogen abschließend über Franz Kafka und Bertolt Brecht bis hin zum traditionsbewussten Exilanten Stefan Zweig spannt.
Der „Kulturkrieg“ war ein Phänomen der daheimgebliebenen Bildungsbürger, sowohl der Wissenschaftler als auch der Literaten, die in der geistigen Mobilisierung für den Ersten Weltkrieg ihren Dienst im Geiste und mit der Feder sahen. Anhand der Schriften von vier in der Auseinandersetzung zentralen Personen zeigt Barbara Beßlich, dass zum einen die Wurzeln dieser mystifizierenden Kriegsbegeisterung bis in die 1890er Jahre zurückreichen und zum anderen unterschiedliche und widersprüchliche Ausprägungen und Positionen letztlich im „Kulturkrieg“ zusammenlaufen.
Die einen sahen in Napoleon den Befreier und Schöpfer des modernen Europa, anderen erschien er als Tyrann, dessen Feldzüge Hunderttausende das Leben kosteten. Über 1848 hinaus spielte der Napoleon-Mythos eine bedeutende Rolle in der deutschen Kultur. Aus dem Nationalfeind der Befreiungskriege wurde erst ein Held des Liberalismus, schließlich sogar eine nationale Identifikationsfigur im frühen 20. Jahrhundert. Dabei wurde diese nationale Identifikation durch einen identifikatorischen Dichtermythos vorbereitet. Wie mit literarischen Napoleon-Texten nach 1933 über Hitler debattiert wurde, zeigt ein eigenes Kapitel in Barbara Beßlichs Literaturgeschichte des deutschen Napoleon-Mythos von 1800 bis 1945. Die Arbeit erschließt bisher unbekannte Quellen und deutet Leittexte (etwa von Heine, Grabbe und Nietzsche) neu. Im Spiegel Napoleons erscheinen die unterschiedlichsten poetologischen und politischen Einstellungen von Schriftstellern wie Hölderlin, Kleist und Goethe über George bis zu Thomas Mann.
Wende des Erinnerns?
Geschichtskonstruktionen in der deutschen Literatur nach 1989
Die deutsche Wiedervereinigung hat eine Wende des Erinnerns eingeleitet: Die Perspektiven auf die jüngste deutsche Vergangenheit haben sich geändert, auch in der Literatur. Der Tagungsband fragt nach den historischen Bedingungen und literarischen Formen dieser Wende des Erinnerns. Die Studien untersuchen nicht nur, wie die DDR-Geschichte im Spannungsfeld von Kritik und Verklärung bilanziert wird, sondern auch, wie der Nationalsozialismus und die bundesdeutsche Vergangenheit neu interpretiert werden. Dabei zeigt sich, dass ein anderer Blick auf Täter und Opfer die literarische Themenbildung bestimmt: Neue Aspekte wie Flucht und Vertreibung, Luftkrieg und Zerstörung – bis dahin eher tabuisiert – geraten durch die Literatur in die öffentliche Diskussion. Die Beiträge befassen sich mit Werken u. a. von Marcel Beyer, Jörg Friedrich, Günter Grass, W. G. Sebald, Martin Walser und Christa Wolf. Im Mittelpunkt stehen Texte, die nach 1989 entstanden sind und die deutsche Vergangenheit seit 1933 reflektieren.