Gewalt als eine zentrale Konstante von Lebenswelt und Kulturgeschichte sperrt sich regelrecht dagegen, zum Phänomen einer selbstreflexiven Untersuchung zu werden. Eine Phänomenologie, die Phänomene via Reduktion und Analyse freilegen will, distanziert sich von lebensweltlichen Perspektiven wie theoretischen Voreinstellungen und orientiert sich ganz an der „Sache selbst“, deren Sinn und Geltung sich offenbaren soll. Gewalt aber scheint ausserhalb ihres Faktums nichts zu sein. Verliert daher der reduzierte Sinn von Gewalt nicht gerade das Faktum der Gewalt, das schon aufgrund seiner Codierung und Performanz einer Reduktion auf Sinn und einer rein phänomenologischen Beschreibung sich verweigert? Kann dann Gewalt überhaupt als Phänomen erfasst werden oder handelt es sich stets um etwas, das einem Lebewesen oder einem Ding „geschieht“ und von diesem Geschehen unablösbar ist? Ist somit eine Phänomenologie der Gewalt überhaupt möglich und wie kann Gewalt zu einer Sache der Phänomenologie werden? Und inwiefern verbirgt sich in dem Versuch einer Phänomenologie der Gewalt nicht auch eine Gewalt der Phänomenologie? Die Beiträge dieses Bandes suchen von phänomenologischen und literaturwissenschaftlichen Positionen her nach Antworten auf diese grundsätzlichen Fragen.
Harun Maye Livres


Das Buch untersucht die Kulturtechniken des ›Blätterns‹ und ›Zappings‹ innerhalb einer Geschichte der Stellenlektüre seit dem 18. Jahrhundert. Die Kontinuitäten und Veränderungen des Umgangs mit Stellen werden prototypisch anhand der Leitmedien Buch und Fernsehen nachgezeichnet. Ausgangspunkt der Studie ist die Beobachtung, dass durch die Neuorganisation des Schriftbilds im Übergang vom Volumen zum Kodex auch eine tiefgreifende Veränderung in der Rezeptionsweise von Texten stattgefunden hat. Dieser mediale Wandel hatte nicht nur Auswirkungen auf die Theorie und Praxis des Lesens, sondern auch auf die Bildung aufmerksamer Subjekte. Denn obwohl das Sammeln und Auswerten von Stellen über Jahrhunderte in der gelehrten Tradition fest verankert war, wird die Stellenlektüre um 1800 von einem kritischen Diskurs begleitet, der vor den Gefahren einer Zerstreuung des Bewusstseins und einem Kontrollverlust der Lektüre warnt. Stellenlektüren stehen seitdem in Pädagogik und Philosophie unter Verdacht. Diese Konstellation wiederholt sich um 2000 mit der Einführung der Fernbedienung, die eine Veränderung in der Rezeptionsweise von Fernsehbildern ausgelöst hat, die in vielen Momenten mit dem Blättern in einem Buch vergleichbar ist. Der Wille, solche Stellenlektüren zu kontrollieren, rekurriert auf die hermeneutische Unterscheidung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen. Dabei wird traditionell der Vorrang des Ganzen vor den einzelnen Stellen behauptet: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Anhand exemplarischer Lektüren von Bildern, Texten und technischen Apparaturen erweist die Studie geradezu die Inversion dieses Grundsatzes: Die Summe der Teile ist mehr als das Ganze.