DAS MEDIZIN-ESTABLISHMENT
SEGEN DER MENSCHEIT oder PROFITEURE DER ANGST
SEGEN DER MENSCHEIT oder PROFITEURE DER ANGST
Im Lichte der hohen Gewichtung von sozialen Kompetenzen bzw. Softskills im Kontext der dualen Berufsausbildung in Deutschland steht das Verhalten von Jugendlichen gegenwärtig im Fokus pädagogischer Institutionen am Übergang Schule-Beruf. Die gesellschaftlichen Vorstellungen zu den für eine erfolgreiche Ausbildung als notwendig erachteten Verhaltensweisen realisieren sich in berufsvorbereitenden Bildungsgängen des Übergangssektors in einer spezifischen pädagogischen Ordnung, welche die vorliegende Studie ethnografisch beleuchtet
Die Gruppe junger Menschen, die die allgemeinbildende Schule ohne Abschluss verlässt und kaum Aussicht auf einen Ausbildungsplatz hat, erweist sich als zunehmend heterogen. An beruflichen Schulen wird auf diese Entwicklung mit der Ausdifferenzierung von berufsvorbereitenden Bildungsgängen reagiert. Im Freistaat Sachsen gibt es seit 2008 ein zweijähriges („gestrecktes“) Berufsvorbereitungsjahr, das bildungsgefährdeten Jugendlichen einen Schulabschluss ermöglichen und Wege ins Ausbildungs- und Erwerbssystem eröffnen soll. Das Buch stellt eine Verbleibstudie zum ersten Durchgang des Schulversuchs „Gestrecktes Berufsvorbereitungsjahr“ an acht beruflichen Schulen vor. Es wird untersucht, inwiefern die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler von der schulischen und sozialpädagogischen Förderung profitiert haben. Indem auch der Verbleib der jungen Menschen im Anschluss an die Maßnahme nachgezeichnet wird, kann zudem geklärt werden, ob die wöchentlichen Praxistage in Betrieben den Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung erleichtert haben.
Der Statuswechsel vom Jugend- ins Erwachsensein vollzieht sich bei Adressaten sonderpädagogischer Förderung in prekären Übergangsprozessen. Während benachteiligte junge Menschen kaum an den gesellschaftlichen Gestaltungsoptionen partizipieren, unterliegen junge Menschen mit Behinderung institutionellen Beschränkungen. Die Buchbeiträge beleuchten theoretische Zugänge erziehungs- und sozialwissenschaftlicher Übergangsforschung und diskutieren aktuelle Entwicklungen in der Benachteiligtenförderung sowie der beruflichen Rehabilitation. Ebenso werden pädagogische Konzepte betrachtet und besondere Übergangshürden ausgewählter Zielgruppen reflektiert. Der Band richtet sich an Professionelle in Schule, Jugend- und Behindertenhilfe ebenso wie an Studierende und Lehrende unterschiedlicher pädagogischer Disziplinen.
Angesichts wachsender Risiken am Übergang von der Schule in die Arbeitswelt, von denen insbesondere benachteiligte Jugendliche betroffen sind, werden in der allgemeinbildenden Schule zunehmend berufsorientierende Konzepte implementiert, die auf eine enge Verzahnung der Lernorte Schule und Betrieb setzen. Beginnend ab der Jahrgangsstufe Acht werden Risikoschüler/-innen, bei denen ein Schulabschluss ebenso infrage steht, wie ein berufsbildender Anschluss, in Praxisklassen gefördert. Diese zeichnen sich neben umfangreichen Betriebspraktika durch kleinere Lerngruppen, veränderte Lernsettings sowie sozialpädagogische Begleitung aus. Der Band nimmt jene bislang empirisch wenig untersuchten Konzepte näher in den Blick und diskutiert am Beispiel der hessischen SchuB-Klassen (Lernen und Arbeiten in Schule und Betrieb) zentrale pädagogische Implikationen. Hierzu werden unterschiedliche empirische Untersuchungen vorgestellt, welche die Perspektive der beteiligten Akteure – der Jugendlichen, der pädagogischen Fachkräfte sowie der Praktikumsbetriebe – systematisch analysieren. Dadurch werden schulpraktische Konsequenzen hinsichtlich der notwendigen Weiterentwicklung einer Pädagogik am Übergang ebenso aufgezeigt wie Forschungsdesiderate, die es künftig zu bearbeiten gilt.
Das Zusammenwirken unterschiedlicher Phänomene sozialer Ungleichheit auf die Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten rückt gegenwärtig ins Zentrum interkultureller Forschung. In einer differenztheoretischen Perspektive untersucht Marc Thielen das dynamische Wechselspiel von Herkunft, Männlichkeit und Sexualität in exemplarischen Migrationsbiografien und hinterfragt damit verbreitete Stereotype zu einer vermeintlich ‚fremden‘ Männlichkeit. Hierzu wurden Männer befragt, die den Iran infolge ihrer gleichgeschlechtlichen Orientierung verlassen haben und somit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zugleich einer ethnisch-kulturellen sowie sexuellen Minderheit angehören. Trotz dieser ‚Mehrfachminorisierung‘ präsentieren sich die Befragten als handelnde Subjekte, die ihre Migration in der aktiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Machtmomenten bewältigen. Die Untersuchung rekonstruiert folglich sowohl die Vielfalt und Prozesshaftigkeit geschlechtlich-sexueller Lebensweisen als auch die Grenzen, die selbstbestimmtes Leben reglementieren. Dadurch wird deutlich, dass die Verschränkung in unterschiedliche Differenzlinien nicht lediglich passives Ausgeliefertsein impliziert, sondern ebenso als eine biografische Ressource genutzt werden kann.