Egon Christian Leitner Livres






Inmitten des gegenwärtigen Weltenbrandes liefert Leitners Tagebuch notwendiges Löschmaterial noch und noch. Führt uns satirisch, kenntnisreich und menschenfreundlich durch Jahrhunderte und Jahrtausende und sämtliche Kontinente. Stellt sich couragiert ohne Ansehen der Person den Mördern in allen Parteien permanent in den Weg und denen, die sie wählen. Berichtet wahrheitsgemäß von Menschen sonder Zahl, die schicksalhafte, quälende, lebenszerstörende Vorgänge durchbrachen und Unglück in Glück zu drehen vermochten. Bis heute jetzt da hier. Von großen Namen und von noch größeren kleinen. Es geht alles gut aus. Wahrheitsgemäß eben.
Seit Jahrzehnten simuliert der Katastrophenpsychologe Dörner Unfälle und Katastrophen, politische, technische, ökonomische, z. B. in Städten, Staaten, AKWs. Und zwar, um die Desaster zu verhindern. Er schult seine Versuchspersonen zu diesem guten Zwecke nach. Sein legendäres Erstversuchsland hieß Tanaland, man könnte heutzutage meinen, es sei Griechenland. Seine Erstversuchsstadt hieß Lohausen, man könnte heutzutage in der Realität meinen, es seien die bankrotten Gemeinden und Regionen. Und aus Tschernobyl, das Dörner genau rekonstruiert hat, wurde in der jetzigen Realität eben Fukushima. Der sogenannte Held des Romans „Komm raus da“, der hilfsbereite, hilfsbedürftige, lebensfrohe Uwe, Uwe wie Auweh, Held heißt freier Mensch, erlebt am laufenden Band Paraphysisches, Anomien, Ausgeliefertsein, Ausweglosigkeiten, groteske Katastrophen, organisierte Verantwortungslosigkeiten in Hilfseinrichtungen, ein Milgram- und ein Dörnerexperiment nach dem anderen. Einmal etwa will er sein Eigentum einer hochanständigen Hilfseinrichtung zur Verfügung stellen und wird anständig betrogen; und einmal wird ihm über einen anderen Menschen gesagt, er werde nicht überleben, und wenn doch, dann ohne jede höhere geistige Fähigkeit, und dann, dass dieser Mensch einfach nicht therapierbar, nicht rehabilitierbar sei. Aber es ist dann zum Glück alles nicht wahr, aber es ist ein sehr anstrengender Kampf, damit das alles nicht wahr ist. Um dieses und andere Leben eben ein Kampf. Einmal zum Beispiel erlebt er mit, wie ein anderer Mensch in ein berüchtigtes Heim verschleppt wird, in das er nie und nimmer gehört, niemand gehört dorthin, und sie holen ihn da raus, und das riesige Heim wird später wegen der Grausamkeiten darin geschlossen. „Komm raus da“, geschrieben inmitten der schwer angst- und suchtkranken Gegenwartsgesellschaft, ist eine furchtlose Inventur nach Art der Anonymen Alkoholiker – eine Vorgehensweise, unaufdringliche Fehler- und Unfallkultur, durch die sie Einsicht gewinnen in das, was sie selber falsch gemacht und wem sie Schaden zugefügt haben und wie sie das wieder in Ordnung bringen – und handelt von den Hilfseinrichtungen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens braucht, wenn nicht er selber, dann jemand, den er liebt. Und von Menschen wie du und ich, die aber von Institutionen oder Hilfseinrichtungen oder ihren Mitmenschen wie du und ich in schwieriger Situation aufgegeben, im Stich gelassen, verloren worden sind und die jedoch wider Erwarten nicht zugrunde gegangen sind. Und davon, wie sie das gemacht haben, besser gesagt: warum sie Glück hatten. Denn die Glücksfälle gibt es auch. Die Literatur hat ein feines Sensorium ausgebildet, österreichische Besonderheiten zu beschreiben. Anton Thuswaldner
Leseprobe zu Egon Christian Leitners Sozialstaatsroman »Des Menschen Herz« Ein üblicher Bericht über ein Kind, das nur zufällig überlebt hat. Davon, wie Menschen waren und was aus ihnen geworden ist. Und über die Hilfseinrichtungen, deren jeder Mensch im Laufe seines Lebens bedarf; wenn nicht er selber, dann die ihm Nahestehenden. Von den Glücks- und Unfällen darin. Von erlernter Helferhilflosigkeit, professionell unterlassener Hilfeleistung, Schweigepflichten und dem Totreden. Von Not- und Zwangssituationen quer durch die Milieus und Metiers, Klassen, Schichten und Institutionen und von Happy Ends. Und über das Unterleben und über berufliches Looping. Und darüber, dass man Zeit und Zeitverlust besser in Menschenleben und Menschenleid misst. Von Systemfehlern und Systemunfällen und vom Beheben und Verhindern derselben. Eine loyale Systemanalyse von innen und von den Folgen her. Und eine all dessen, was die geld- und gesetzgebenden Politiker aufzwingen. Ein Nachdenken über die Aussichten einer Frauen- und die Chancen einer Sozialstaatspartei. Über all die gegenwärtigen Versuche, die Politik neu zu erfinden, wirklich, rechtzeitig und gemeinsam. Und darüber, dass die Linken und Alternativen den Rechten und angeblich Konservativen immer zwei, drei Revolutionen hinten nach sind. Und wie der Staat mittels des Staates außer Kraft gesetzt wurde. Und dass die neoliberale Revolution jetzt ihre Kinder frisst.