Die „klassische“ Säkularisierungsthese ging von einem Zusammenhang zwischen Modernisierung und dem Bedeutungsrückgang von Religion aus. Diese These erfährt Kritik ebenso wie vielfältige Fortschreibungen und Modifikationen. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Religion und nichtreligiöser Weltdeutung gewandelt? Wie gestaltet es sich in politischer und rechtlicher Hinsicht heute? Wie können die unterschiedlichen Gestaltungsformen und Verständnisse bewertet werden? Welche Gesichtspunkte erlauben es, den Begriff der Säkularisierung positiv theologisch anzueignen oder kritisch weiterzuführen? Diese und weitere Fragen diskutieren, im Gespräch mit den Nachbardisziplinen, die theologischen Beiträge des Bandes als gemeinsame gesellschaftliche Herausforderung.
Christian Ströbele Livres






Welche Macht hat Religion?
Anfragen an Christentum und Islam
Das Thema „Religion und Macht“ ist umfangreicher als die Frage nach dem Verhältnis der Religion zum Staat und zu demokratischen Strukturen. Im Namen Gottes wird in menschliches Leben eingegriffen, wird soziale Kontrolle ausgeübt und religiöse Autorität etabliert. Doch in religiösen Vollzügen werden Menschen auch ermächtigt, ihre Erfahrungen und Perspektiven zu Wort zu bringen und um Anerkennung zu ringen. Vor diesem Hintergrund fragen die Autorinnen und Autoren nach Kriterien zur Beurteilung von Machtausübung, nach Machtmissbrauch, nach legitimatorischen Strategien und kritischen Ressourcen aus den theologischen Traditionen, nach dem Zusammenhang zwischen theologischen Konzeptionen und dem Verhältnis zur Macht u. v. m.
Migration, Flucht, Vertreibung
Orte islamischer und christlicher Theologie
Flucht, Migration und Vertreibung sind existenzielle menschliche Erfahrungen, die in der christlichen und islamischen Tradition schon immer auch theologisch gedeutet wurden. Im globalen „Zeitalter der Migration“ stehen Christen und Muslime hierbei vor spezifischen Fragen und Aufgaben – sowohl in der individuellen Begegnung als auch im Einsatz für eine gerechte Zivil- und Weltgemeinschaft: Was ist der spezifisch christliche bzw. muslimische Beitrag im Umgang mit Migration, Flucht und Vertreibung? Wo und wie können Christen und Muslime hier zusammenwirken? Wie können die durch Migrationsbewegungen bedingten Veränderungen für die Gesellschaft und für religiöse Gemeinschaften als konstruktive Ressource gesellschaftlichen Zusammenlebens eingebracht werden?
Kritik, Widerspruch, Blasphemie
Anfragen an Christentum und Islam
Religion ist (wieder) ein gesellschaftlich umstrittenes Thema. Dabei stehen nicht nur einzelne Formen religiöser Praxis im Fokus, sondern auch grundlegende Glaubensüberzeugungen. Ist der Glaube schädlich für das gesellschaftliche Zusammenleben? Sind Offenbarungsansprüche nicht sämtlich irrational? Die Kritik kommt dabei aus außerreligiöser Perspektive (soziologisch, naturwissenschaftlich, psychologisch, philosophisch), tritt aber auch interreligiös auf als wechselseitige Kritik verschiedener Religionen aneinander. Wie gehen Religionen mit dieser Kritik um? Wie kritikfähig sind sie? Welches Veränderungspotenzial wird durch die Kritik in den Religionen mobilisiert? Oder reagieren sie mit Abschottung und Gegenwehr?
Armut und Gerechtigkeit
Christliche und islamische Perspektiven
Armut ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Sie ist oft Folge wie Ursache sozialer Ausgrenzung und Marginalisierung und hat weitreichende Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und auf das Selbstwertgefühl von Menschen. Damit sind Grundfragen von Menschenbild und Gesellschaft verbunden, welche die christliche und islamische Theologie zu allen Zeiten herausgefordert haben. In beiden Religionen finden sich unterschiedliche theologische Deutungen und teilweise auch Idealisierungen von Armut sowie Motive und Kriterien für eine gerechtere Gesellschaft. Christliche und islamische Wissenschaftler entwickeln in einem interreligiösen und interdisziplinären Rahmen Analysen aktueller gesellschaftlicher Problemlagen, formulieren theologische und ethische Deutungen und bringen kritische und konstruktive Impulse in den Kontext säkularer Gesellschaften ein.
Performanz und Diskurs
Religiöse Sprache und negative Theologie bei Cusanus
Religiöse Sprache ringt mit den Grenzen des Sagbaren, versucht sie doch, mit endlichen Mitteln vom Göttlichen zu sprechen. Wie ist dann überhaupt Theologie als wissenschaftsförmig-diskursive Rede von Gott möglich? Kann man Theologie und den Sinn religiöser Rede philosophisch erstbegründen, oder zehrt jedes derartige Unternehmen von vordiskursiven, performativen Bedingungen? In Traditionen apophatischer Theologie wurden diese Fragen nicht einem Teilgebiet der Gotteslehre eingegliedert, dem der göttlichen Namen oder Attribute, sondern ins Zentrum gestellt. Besonders gilt dies für Cusanus. In profunder Quellenkenntnis nimmt er patristische und neuplatonische Überlegungen auf und reformuliert sie unter neuen erkenntnistheoretischen und wissenschaftsmethodischen Bedingungen. Seine mehrfachen Neuansätze ließen bisherige Forschungsmeinungen allerdings eine schwankende Position oder gar eine Kehrtwende annehmen. Ströbeles systematische Rekonstruktion zeigt dagegen, dass die cusanischen Texte, nicht zuletzt im Predigtwerk, lesbar sind als fortschreitende Explikation und Präzisierung ihrer leitenden Fragestellung. Diese verortet Ströbele dabei im Gebiet philosophisch-theologischer Propädeutik und gibt damit zugleich einen Vorschlag zu deren Bearbeitbarkeit im Kontext spätmoderner Herausforderungen.