Fossiles Futur
Gedichte






Gedichte
Ästhetik und Ökologie
Seine Essays haben Volker Demuth den Ruf eines so scharfsinnigen wie sprachmächtigen Zeitdiagnostikers eingetragen. Seit seinem ersten Gedichtband gilt er als Lyriker mit „der Gabe des ersten Blicks“ (Harald Hartung, FAZ). Diese skeptische, genaue Stimme hat sich in die Gegenwartslyrik eingeschrieben. Für eine junge Generation ist er zu „einem der lyrischen Väter“ (Matthias Kehle, Lyrikblog) geworden. In Lapidarium unternimmt er es, die poetische und existenzielle Tragweite des „langen Gedichts“ für die Gegenwart zu erkunden. In den polyphonen Gesängen einer „aufgemischten Sprache“ entfalten sich genaue dichterische Topografien und sensible Weltvermessungen. Der Übergang, die „Diabasis“, wird zum Ort des Ichs. So entstehen Gedichte, die Zeit und Raum poetisch leicht durchqueren wie in einer „Universität der Luft“. Eine Weitläufigkeit, eine Weltläufigkeit, in der sich die Dinge durch lyrischen „Zungenlink“ verbinden und so unsere Zeit lesbar machen.
Ein Bauernhof, eine Kleinstadt, ein Haus am Fluss, eingebettet in das durch Eiszeitgletscher geformte Geländeprofil Süddeutschlands. Sie bilden den Erfahrungsraum dieser autobiografischen Erzählung, in dem sich die deutsche Geschichte spiegelt. Die äußere Gegend wird dabei zur inneren Landschaft. Aufgewachsen in einem Landstrich, der lange nicht alles preisgegeben hat, was im Nationalsozialismus etwas gegolten hat, vor allem Zucht, Unterordnung und Gehorsam, sind es besonders ältere Geschichten, die sich in der Landschaft wie im eigenen Leben Volker Demuths eingelagert haben, Geschichten von Aufbegehren, Freiheitsdrang und einem schwierigen Glück. Vom Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts über den Zweiten Weltkrieg und die Adenauer-Zeit bis in die globalisierte Gegenwart führt die literarische Reise durch Erinnerungen, Bedeutungen und Mythen. Die Lebensorte werden dabei zum Fahndungsraster einer schmerzlichen und zuletzt befreienden Spurensuche und dem Versuch einer Antwort auf die Frage, wo man hingehört und wer man ist.
Es ist der regengraue Morgen eines 3. Januar, an dem Arne, Biotech-Forscher, in Berlin das Flugzeug besteigt. Vor ihm liegt die Reise in einen anderen Kontinent, in die endgültige „Spurlosigkeit“, so hofft er. Hinter ihm liegen die Jahre seiner Ehe, vor allem aber die kurze, leidenschaftliche Beziehung zu der jungen Künstlerin Caroline. Erneut tauchen vor ihm die Bilder aus Paris, New York und Stockholm auf. So gerät er, während er mit dem Laptop noch einmal Carolines Stimme hört, immer tiefer in die Vergangenheit, in der sich glückliche und tragische Momente, Liebe und Gewalt wie in einem Kaleidoskop überlagern. Mit seiner facettenreichen Sprache gelingt Volker Demuth ein scharfsinniger und intensiver Blick auf die ersten Jahre unseres Jahrhunderts, manchmal melancholisch und immer voller Lebenswissen. Dabei scheint es das Fleisch zu sein, dieser Grundstoff von coolen Körpern und zerbrechlichen Lebensentwürfen, das die letzte Schnittstelle zwischen Liebe und Sex, erregenden Bildern und dunklen Sehnsüchten bildet. Eine tief berührende Liebesgeschichte und zugleich ein spannender roman noir. Brillant erzählt Volker Demuth, wie unlösbar Glück und Verzweiflung, Leidenschaft und Tod miteinander verwoben sind. Ein ergreifender, fesselnder Gegenwartsroman.
Seit mit Aristoteles' Metaphysik der unabgelenkten Linie gegenüber der gekrümmten eine höherwertige Position zuerkannt wurde, gehört es zur wiederkehrenden Diffamierung des Mäanders, die Figuren der Abweichung als geschmeidig, adaptiv und opportunistisch, aber auch – in ihrem Emblem, der Schlange – als heimtückisch, chaotisch und böse zu brandmarken. Demgegenüber gilt die Gerade als Inbegriff historischer Vernunft, als übermächtige Ordnungsform, bei der die zum Disparaten neigende Welt zusammenläuft und zur Gesamtheit synthetisiert werden kann. Doch was, wenn sich der rationalistische Formalismus der Gerade in Wahrheit als grandios irrational und dysfunktional für das planetarische Leben erweist? Wenn sich die Verwandlung von verschlungenen Gebilden der Relationalität in effiziente Landschaften mit stringenten Planungsabläufen als Voraussetzung heutiger Katastrophen offenbart? Könnten sich uns, so fragt Volker Demuth in seinem zwischen Analytik und Geschichte, Reflexion und Erzählen pendelnden Essay, mit dem Mäander nicht Einsichten bieten in eine radikal andere kulturelle und politische Ökologie, in eine Grammatik, bei der Subjekte und Objekte nicht hierarchisiert werden? Kein Punkt an der Spitze einer imaginären Pyramide also, vielmehr ein hin und her schwingendes Beziehungsgeflecht in einem fluiden Raum.
In einer Zeit, in der Globalisierung und Konsumkapitalismus vor ihrem Scheitern stehen, taucht ein alternatives Fortschrittsbild auf: die Bioutopie. In ihr verhält sich der Mensch zu sich selbst als biologisches Designobjekt. Die technowissenschaftlichen Transformationen der biologischen Substanz, deren Anfänge wir heute miterleben, eröffnen ungeahnte Möglichkeiten, sich schrittweise von den Bedingungen biologischer Evolution loszulösen. So vereint »der nächste Mensch« in seiner Gestalt Körper-, Technik- und Mediengeschichte und wendet sich mit wachsender Autonomie von den Hoffnungen des bisherigen ökologischen Denkens ab. In der postökologischen Bioperfektion gewinnt eine neue Epoche scharfe Kontur.
Versuch einer Carneologie
Fleisch, das ist das Obskure unseres Körpers: Dass wir selbst aus einem blutigen Stoff, aus einem sehnigen Material bestehen, gehört zu den großen Tabus unserer Existenz. Das Gewebe unter dem Körpermantel der Haut wird verdrängt, gleichzeitig geht von diesem Undenkbaren seit Anbeginn der Kulturgeschichte eine eigentümliche Faszination aus : Nicht nur gehört es zum Kern der Definition der christlichen Lehre, dass Gott in Jesus Fleisch geworden ist und dieses Fleisch sogar auferstanden sein soll, auch moderne kulturelle Inszenierungen wie Pornografie und Splattermovies üben einen unbedingten Reiz aus. In seiner Kulturgeschichte rückt Volker Demuth die immer anwesende, aber kaum bewusst gemachte Materialbasis menschlicher Existenz in den Fokus und beleuchtet damit unseren Umgang mit uns selbst. Es wird klar, dass die Menschen sich ihrem Fleisch nur nähern konnten, indem sie es von sich abspalteten, es objektivierten, um es tendenziell zu überwinden – angefangen bei der anatomischen Vermessung des Menschen in der Renaissance über die Schönheitsoperationen unserer Tage bis hin zum Transhumanismus, der den Körper durch technische Einbauten zu optimieren trachtet.
Schreiben ist ein Selbstversuch, der nicht aufhört. Selbstversuche entsprechen einem pointierten Erkenntnismodell der Moderne, Wahrheit unter Benutzung des eigenen Körpers zu provozieren und ans Licht zu bringen. Dabei erweist es sich als Generationenerfahrung der nach 1960 Geborenen (wie der Autor), dass sie im Vergleich zu vorangegangenen Schriftstellergenerationen unter der Bedingung der „Geringfügigkeitszuweisung“ schreiben. Denn sie, die Friedens- und Fernsehgeneration, ist die erste wirkliche Bildergeneration in der Geschichte. Wem sich die Grammatik solcher Bildwelten einschrieb, der braucht mehr als bloß ein Alphabet, um dem Schreiben zu verfallen. Nämlich einen Raum der Literatur. Es ist die Geschäftsbedingung der Literatur, der Deal, den ein Schriftsteller mit der Sprache macht, dass er sich zur Instanz eines Weltzusammenhangs erklärt, auch wenn er in der Gegenwart stöbert wie ein Hund im Straßenmüll. Literatur wird in einer Bilderrealität dann unverzichtbar sein, wenn sie die Wirklichkeit zur Sprache bringt, indem sie die Ordnung der Dinge und der Subjektivitäten neu zu mobilisieren und so den namenlosen Schmerz einer Unfassbarkeit der Welt zu verringern vermag.