Josef Ullrich Livres






Der Autor beschreibt seine Kindheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit im Sudetenland und hebt die Unterschiede zu seinen Altersgenossen hervor. Aufgewachsen in einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie, erlebte er Widerstand gegen das Dritte Reich und die Vertreibung. Seine Erinnerungen widmet er seinen Eltern und möchte als Zeitzeuge beitragen.
Bei uns war's anders
Ein Sudetendeutscher aus Aussig/Elbe erinnert sich an Kindheit und Jugend in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Das Bayerische Hauptstaatsarchiv München nahm das Buch wegen der besonderen Ausreise in seine Abteilung Antifa-Transporte auf.
Josef Ullrich, geboren 1938 in Aussig, stammt aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Sein Vater war als Antifaschist anerkannt und blieb von der Vertreibung verschont. Die Familie war in Widerstandsaktivitäten gegen die Nazis involviert. 1948 emigrierte die Familie nach Hessen, was eine Vertreibung und fingierte Flucht darstellte.
Dank meines Vaters wurde die Schleuse nicht gesprengt
Ein Sudetendeutscher aus Aussig/Elbe erinnert sich an Kindheit und Jugend in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Eine späte Würdigung.
Josef Ullrich geboren 1938 in Aussig an der Elbe, heute Usti nad Labem (Tschechien) kommt aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Seinen Vater hatten die Tschechen 1945 auf Grund seiner Nazigegnerschaft als Antifaschisten anerkannt. Dadurch war die Familie nach den Beneš-Dekreten von der unmittelbaren Vertreibung ausgenommen. Mit Leopold Pölzl, dem Aussiger Bürgermeister, war er von den sudetendeutschen Nazis in der ehem. Malzfabrik 1938 inhaftiert worden. Das Lager wurde nach 8 Wochen von der Deutschen Wehrmacht aufgelöst. Mein Vater war zuvor aus politischen Gründen bei den Schicht-Werken fristlos entlassen worden. Als Werkzeugmacher bekam er aber gleich wieder Arbeit. Die Schicht-Werke sollten ein nationalsozialistischer Musterbetrieb werden, frei von Roten. 1944 bildete sich eine Widerstandsgruppe, die die geplante Sprengung der Elbe-Staustufe durch die Wehrmacht verhinderte. Mein Vater war Abschnittsleiter. Einiges von den Besprechungen, die in unserer Wohnung stattfanden, bekam ich mit. Täglich wurden die deutschsprachigen Sendungen der BBC gehört, was ja strengstens verboten war. Der Kriegsverlauf war ein ständiges Thema bei Familientreffen. Aussig wurde von der Roten Armee kampflos eingenommen. Sogleich wollten die Schreckensteiner Sozialdemokraten an den demokratischen Wiederaufbau der alten Gemeindeverwaltung zusammen mit den tschechischen Genossen von früher gehen, doch die wollten nicht mehr. Im Sommer 1945 geschah das Massaker an der deutschen Bevölkerung, dem mein Vater nur knapp entkam. Eine späte Würdigung der Widerstandsgruppe erfolgte 2022 in der Ausstellung „Unser Deutschen - Naše Němci“ im Historischen Museum von Ústí nad Labem. 1948 siedelten wir mit dem letzten Antifatransport nach Hessen aus. Es war Vertreibung und Flucht zugleich, da die Amerikaner damals keine Übersiedler mehr aufnahmen. Ich hatte also das Glück, wie ich später merkte, in einer nicht üblichen deutschen Familie aufzuwachsen.
Im Sommer 1945 ereignete sich das Massaker von Aussig. An einem Tag, als ich mit meiner Mutter an der Elbe badete, hörten wir plötzlich gewaltige Detonationen und sahen Rauch hinter der Burg aufsteigen. Ein kleines Flugzeug flog in tiefer Höhe der Elbe entlang, und meine Mutter befürchtete das Schlimmste für meinen Vater, der an diesem Tag nicht wie gewohnt nach Hause kam. Als er spät zurückkehrte, berichtete er von einem Umweg, den er nehmen musste, da tschechische Firmenleitungen ihre deutschen Arbeiter vor Schlägertrupps in Aussig gewarnt hatten. Die Geschehnisse wurden am nächsten Tag klarer: Die Explosionen waren ein Sabotageakt, gefolgt von einem Pogrom gegen die deutsche Bevölkerung. Wer kein Tschechisch sprach, wurde misshandelt, und es gab unzählige Tote. Wehrlose wurden von den Brücken in den Fluss geworfen und erschossen. Ein schrecklicher Vorfall ereignete sich, als ein junger Mann ein Kind aus einem Kinderwagen riss und es gegen das Geländer schlug. Eine deutsche Rotkreuzschwester, die das sah, wurde ebenfalls beschossen. Tante Lene berichtete, dass alle ihre Kolleginnen, die die Neue Brücke überqueren mussten, ermordet wurden. Die Täter stopften die Leichen in Löschteiche und Kanalöffnungen. Mein Vater, obwohl als Antifaschist anerkannt, war in dieser Situation machtlos, da auch er kein Tschechisch sprach und gezwungen war, eine weiße Armbinde mit einem „N“ für Deutsche zu tragen.

