Am 30. Oktober 2008 startete das letzte Flugzeug von Berlin Tempelhof. Der Flughafen, an dem im Jahr 2007 noch 350.000 Menschen abgefertigt wurden, stellte seinen Betrieb ein. Heute werden die Räume des ehemaligen Flughafengebäudes zum Teil an kreative Firmen vermietet und zum Teil als Eventlocation genutzt. Zu diesen Terminen ist Tempelhof nach wie vor ein viel besuchter und angesagter Ort. Doch zwischendurch steht dieser geschäftige und lebendige Umschlagplatz von Menschen und Waren auch heute immer wieder leer. In den Jahren 2010 bis 2012 begab sich der Fotograf Walter Vorjohann wiederholt auf das einstige Flughafengelände, um dort der Stille, der Abwesenheit des Tuns und Treibens und nicht zuletzt einer großen Architektur zu begegnen. Ganz ähnlich wie damals vor vier Jahren, als er sich mit seiner Kamera auf das Gelände der ehemaligen Frankfurter Großmarkthalle begab, nachdem er gelesen hatte, dass diese 'besenrein' an ihren neuen Besitzer übergeben worden war und nun auf ihre neue Bestimmung warte. Eva Schestag, Sinologin und Übersetzerin, die in Frankfurt für das Museum der Weltkulturen die Ausstellung 'Bilder vom Glück' konzipiert hat, schreibt in ihrem Text über die Geschichte des Gebäudes und die Fotografien von Walter Vorjohann.
Walter Vorjohann Livres




Ort der Abwesenheit
- 60pages
- 3 heures de lecture
Die entscheidende Schwierigkeit, »über Antisemitismus« zu schreiben, Antisemitismus anzusprechen, liegt darin, dass es keine Position von außen gibt, von der her gesprochen werden könnte. Dies zu verkennen, scheint eines der Hauptprobleme in vielen Initiativen zu sein (deren ziviles Engagement und gute Absichten nicht infrage gestellt seien), die Antisemitismus als sprachliche und physische Gewalt im (nicht nur) bundesdeutschen Alltag anzeigen. In diesem Zusammenhang wird oft das Bedürfnis laut, zu definieren, was als antisemitisch zu gelten habe und was nicht, und man ist bestrebt, Klarheit zu schaffen. Definitionen, die dieses Bedürfnis stillen wollen, bringen aber weitere Probleme mit sich. Denn wie etwas adressieren, das uns als zentrales und zugleich extrem dezentriertes, disseminiertes, jahrhundertealtes und brandaktuelles Problem heimsucht: antisemitische Gewalt, im Versuch des Eingedenkens, dass wir selbst und auch noch unser Versuch, den Antisemitismus endlich eindeutig in den Griff zu kriegen, Teil dieses Problems sind. Das »Halle-Dossier«, das den Auftakt des Heftes bildet, weil der Anschlag auf die Synagoge in Halle an Jom Kippur, dem 9. Oktober 2019, der Auslöser für unsere begonnene Arbeit war, ist erst gegen Ende der Konzeption des vorliegenden Heftes entstanden. Wir haben eingeladen das Dokument aus Mitschriften des Prozesses gegen den Attentäter, das der Verein »democ. Zentrum Demokratischer Widerspruch e. V.« angefertigt angefertigt hat zu kommentieren. Es kamen in der Redaktion viele Anfänge des Nachdenkens zusammen. Es blieb die Frage, was spezifisch Psychoanalytisches zu sagen sei, auch wenn vieles schon seit Jahrzehnten immer wieder geschrieben worden war. Etwas ließ uns unbefriedigt, wir ahnten mehr, als wir sagen konnten, dass es etwas zu explizieren gäbe, das weniger von identifizierbaren antisemitischen Inhalten ausging, sondern von Unbewusstem, das nicht direkt identifizierbar ist. Es gibt im Feld von Geschichte, Politik, Traum, Dichtung und Kunst bisweilen Konstellationen, in denen einiges zusammenkommt, was es dann ermöglicht, dass unerwartet ein Standpunkt, ein unerwarteter Standpunkt umrissen wird. Der Titel dieser Ausgabe des RISS »AAAAAAAAntisemitismus – Asemantisch« schreibt sich von einem solchen her. Die A-Buchstaben-Laut-Graphem-Phonem-Reihe des ehemaligen Mitglieds der Resistenza, des späteren Künstlers Gastone Novelli trägt sich als stummer, stummlauter Schrei, verzerrend – als Kakofonie und Interferenz – in unser Sprechen und Schreiben »über Antisemitismus« ein.
Das Rathaus von Aschaffenburg
Ein neu entdecktes Baudenkmal der Fünfziger-Jahre
- 133pages
- 5 heures de lecture
Das 1958 fertiggestellte Aschaffenburger Rathaus des Architekten Diez Brandi ist mit seinem Stahlbetonskelett und der dekorativen Natursteinfassade ein außergewöhnliches Dokument moderner Architektur. In den herausragenden Aufnahmen des Fotografen Walter Vorjohann präsentiert sich die visuelle Kraft eines Gesamtkunstwerks. Mitten in der historischen Altstadt von Aschaffenburg, umgeben vom gewachsenen Baubestand der Jahrhunderte zwischen den Türmen des Schlosses Johannisburg und dem Turm der Stiftskirche, errichtete die Bürgerschaft der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg das neue Rathaus. Das Gebäude beeindruckt mit seiner umfassenden Durchgestaltung. Treppen, Türen, Böden, Decken- und Wandgestaltung sowie das von Diez Brandi selbst entworfene Mobiliar bilden eine künstlerische Einheit. In den beeindruckenden Fotografien von Walter Vorjohann wird die zeitlose Ästhetik des Gebäudekomplexes einfangen und zugleich auf einfühlsame Weise dokumentiert.